SPIEGEL Spezial

Weltmacht Religion, 9/2006

"Das Leben wird ganz einfach" - Interview mit Charlie Pils, Autorin: Angelika Gatterburg

Charlie und Ayya Khema, Buddha-Haus Allgäu 1989
Charlie und Ayya Khema, Buddha-Haus Allgäu 1989

Der Münchner Meditationslehrer Charlie Pils über seinen Weg in den Buddhismus

 

Pils, 53, gibt seit zwölf Jahren Meditationsseminare in der buddhistischen Theravada-Tradition und ist einer der Leiter des Meditationszentrums Buddha-Haus München. Er arbeitet nebenher als Tennislehrer, ist verheiratet und hat einen Sohn.

 

SPIEGEL: Wie und wann sind Sie zum Buddhismus gekommen?

Pils: Mit 31 Jahren im Jahr 1984 während einer halbjährigen Asienreise. Ich war auf der schönen Insel Koh Phi Phi in Thailand und völlig grundlos total unglücklich. Irgendwann begriff ich: Die äußere Umgebung ist nicht verantwortlich für das, was in mir vorgeht.

 

SPIEGEL: Welche Folgen hatte diese Erkenntnis?

Pils: Ich beschloss, mein Leben zu ändern, wusste nur zunächst nicht, wie. Interessanterweise bin ich rund sieben Wochen später auf Bali der buddhistischen Meditationsmeisterin Ayya Khema begegnet. Bei ihr habe ich meinen ersten zehntägigen Meditationskurs gemacht. Ich hörte die Buddhalehre von Dukkha, der Unerfülltheit als universelles Wesensmerkmal in allen Menschen, und habe sie sofort verstanden. Und ich erfuhr, dass es einen Weg dort hinaus gibt. Mein Entschluss stand fest: Den Weg will ich gehen, bis hin zur Erleuchtung.

 

SPIEGEL: Wie weit sind Sie bisher gekommen?

Pils: Damals auf Bali wollte ich die Erleuchtung sofort, in zehn Tagen. Ich spreche selten darüber, weil es so ungeheuerlich klingt, aber ich hatte dort am siebten Morgen eine Erleuchtungserfahrung, die mein Leben seither bestimmt.

 

SPIEGEL: Wie sah die aus?

Pils: Es war ein wunderbarer Bewusstseinszustand, ohne Angst, Wünsche, Aversionen. Ein Sein ohne Furcht, wach, klar, zeitlos, ohne Ego, voller Liebe. Ich erfasste damals auch, dass diese "Ein-Sicht" das Ziel jeder spirituellen Praxis ist, die Religionen sich aber alle mit Nebensächlichkeiten aufhalten.

 

SPIEGEL: Inwiefern?

Pils: Religionen werden von Menschen verwaltet, und die irren. Da der menschliche Geist weitgehend von egozentrischen Trieben bestimmt wird, haben die Religionen alle Hände voll zu tun, den Menschen wenigstens etwas Tugend beizubringen. Was Erleuchtung angeht: Wie soll man den Menschen erklären, dass sie ihr Ego, also sich selbst aufgeben sollen? Das hört keiner gern!

 

SPIEGEL: Wie haben Sie den Buddhismus in Ihr Leben integriert?

Pils: Es ist mein Lebensinhalt, diesen Erleuchtungszustand ein für allemal zu verwirklichen. Dazu muss mein Ego für immer gehen. Das Erlebnis auf Bali ist Vergangenheit, das Ego kam zurück, aber der Zugang zur spirituellen Kraft ist geblieben.

 

SPIEGEL: Sie wurden Schüler von Ayya Khema?

Pils: Ja, sie lebte damals als buddhistische Nonne auf Sri Lanka und kam nur einmal im Jahr nach Europa. Wir schrieben uns Briefe über meine Meditationspraxis. Ich studierte buddhistische Schriften, um meine Erleuchtungserfahrung zu verstehen. Auch die Lehre des mittelalterlichen christlichen Theologen Meister Eckhart und Aussagen anderer Mystiker verschiedener Religionen haben mir geholfen. 1986 habe ich meine Lehrerin drei Monate begleitet, 1987 meditierte ich drei Monate lang in der Nähe ihres Klosters.

 

SPIEGEL: Wann haben Sie angefangen zu unterrichten?

Pils: Ich habe sechs Jahre lang viele Stunden am Tag meditiert. Um mich finanziell zu entlasten, bin ich in einen Kellerraum im Haus meiner Mutter gezogen. Als ich Familienvater wurde, endete diese intensive Zeit, und die Praxis im Alltag begann. 1994 wurde ich von Ayya Khema autorisiert, selbst Ruhe- und Einsichtsmeditationen zu unterrichten. Meine Lehrtätigkeit hat sich nach ihrem Tod erweitert.

 

SPIEGEL: Welche Leute kommen in Ihre Kurse?

Pils: Ganz unterschiedliche. Ich habe beispielsweise eine Vormittagsgruppe mit eher älteren Menschen, die regelmäßig und konzentriert meditieren. Aber es kommen auch immer mehr jüngere Menschen, was mich sehr freut. Die stehen mitten im Beruf und suchen einen Lebenssinn jenseits von Leistungsdruck und Karriere.

 

SPIEGEL: Haben Ihre Schüler den Ehrgeiz, Erleuchtung zu erlangen?

Pils: Die Motive sind unterschiedlich. Die Buddhalehre wird heute von vielen Schülern als Lebenshilfe verstanden. Sie ist einfach, verständlich, umfasst alle Lebens- und Bewusstseinsbereiche. Wer sich damit befasst und meditiert, ändert seine Weltsicht, das innere Unglücklichsein wandelt sich zu mehr Lebensfreude, Mitgefühl und Zufriedenheit. Schüler, die längere Meditations-Retreats machen, suchen durchaus nach Erleuchtung.

 

SPIEGEL: Unterscheiden Sie zwischen ernsthaften Schülern und Hobby-Buddhisten?

Pils: Nein. Ich lehre immer das Wesentliche der Lehre, die Essenz, unabhängig von den Motiven der Einzelnen. Es geht darum zu verstehen, dass das Leben ganz einfach wird, wenn man alles aus dem Bewusstsein der Selbstlosigkeit heraus unternimmt. Man wird unabhängig von Erfolg und Misserfolg, von Lob und Tadel, Gewinn und Verlust.

 

SPIEGEL: Interessiert sich Ihr Sohn für die Lehre Buddhas?

Pils: Wir sprechen nicht über Buddhismus. Ich wollte ihn auf keinen Fall mit buddhistischen Lehrsätzen erziehen, sondern habe immer versucht, ihm ein gutes Beispiel zu geben und ihn seine eigene Entwicklung finden zu lassen. Er ist ein sehr liebenswürdiger Mensch, das freut mich sehr. Er raucht und trinkt nicht. Aber er wird erst 17 Jahre alt, mal sehen, wie es weitergeht.